Brasilien XXL – Seite 2
Aber nicht nur die Natur, auch die Menschen in diesem Land haben XXL-Superlative geschaffen. Unweit jener grössten Wasserfälle der Erde, am Rio Paraná, haben die Brasilianer das grösste Wasserkraftwerk der Welt errichtet: Itaipu – mit einem acht Kilometer langen Damm, der einen See von 1.400 Quadratkilometern aufgestaut hat. Die 18 Turbinen haben eine Kapazität von 12.600.000 Kw und produzieren zusammen zirka 75 Milliarden Kwh pro Jahr – genügend Energie, um den gesamten brasilianischen Süden, sowie einen Teil von Rio de Janeiro, São Paulo und Minas Gerais zu versorgen.
Ein von Menschenhand geschaffener XXL-Superlativ ist auch Brasília – die ultramoderne Hauptstadt unseres Landes der Gegensätze. Wenn man in Manaus den Jet besteigt, wird man in wenigen Stunden – wie in einer Zeitmaschine – aus der Steinzeit ins 21. Jahrhundert zurück “gebeamt”. In Brasília, der Stadt vom Reissbrett, mit ihrer futuristischen Architektur eines Oscar Niemeyer, erscheint uns sogar die Gegenwart als überholt.
Apropós Steinzeit: Es ist zirka 50.000 Jahre her, dass die ersten Menschen über die Behringstrasse in den amerikanischen Kontinent eingewandert sind und ihren langen Weg gen Süden begannen. Von ihnen stammen jene nord- und südamerikanischen Ureinwohner ab, die von Kolumbus irrtümlicherweise als Indianer bezeichnet worden sind. Brasiliens Indianer sind, wie alle eingeborenen Völker dieser Welt, auch von den portugiesischen Kolonisatoren wahrhaft unmenschlich behandelt worden – man hat sie entweder versklavt oder abgeschlachtet – von zirka 10 Millionen brasilianischer Indianer haben heute gerade mal um die 300.000 überlebt, und das auch nur, weil sie sich den Bedingungen der nationalen Gesellschaft unterwarfen, deren ansteckende Krankheiten überlebten – oder sich beizeiten in die unzugänglichsten Urwaldgebiete zurückzogen. Erst seit etwa einem Jahrhundert, durch den selbstlosen Einsatz eines gewissen Marschalls Rondon, hat man die Indianer Brasiliens offiziell als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt – ihnen Teile ihrer angestammten Wohngebiete zurückgegeben und ihnen den Weg in die verschiedenen Ausbildungsstätten der Gesellschaft geebnet.
Ein weiterer Superlativ Brasiliens sind die Nachkommen jener ersten Ureinwohner, wie zum Beispiel die Yanomami, Tukano, Maku, Arara, Wayana, Baniwa und viele andere im Regenwald des Amazonas, einige von ihnen leben noch wie ehemals in der Steinzeit – die Carajá, Xavante, Javaé, Tapirapé, Krahô, Xerente, Bororo, Apinajé, Rikbaktsa, Cinta Larga und viele andere in der Region des Mittleren Westens, die sich weitgehend von unserer suspekten Zivilisation fernhalten, ihre eigene Indianersprache sprechen und innerhalb ihrer traditionellen Sitten und Gebräuche leben – die Kalapalo, Kamayurá, Kuikuro, Mehinako, Suyá, Trumai, Waura, Yawalapití, Kayapó, insgesamt 17 Völker im Xingu-Nationalpark von Mato Grosso, die sich aber nicht als “touristische Attraktion“ zur Verfügung stellen, sondern sich ihrer eigenen Tradition verpflichtet fühlen – ihr “Fest der Toten” (Kuarup) ist alljährlicher Treffpunkt aller Xingu-Stämme. Darüber hinaus gibt es die vielen kleineren Eingeborenen-Gruppen, die teilweise unerkannt ihre Existenz inmitten der brasilianischen Gesellschaft fristen, wie die Nachfahren verschiedener Tupi- und Guarani-Völker, der Kadiwéu oder der Urubu Ka’apor (Maranhão) zum Beispiel.
Und die zivilisierten Brasilianer? Die setzen sich aus allen Ethnien und Nationen unserer Erde zusammen. Zum Beispiel aus Menschen, deren afrikanische Vorfahren von den Portugiesen als billige Arbeitssklaven für die Zucker- und Kaffeeplantagen importiert wurden – und andere, die später, nach Abschaffung der Sklaverei, von verschiedenen brasilianischen Potentaten aus den ärmeren Ländern Europas zum gleichen Zweck angeheuert wurden. Die Nachkommen der Afrikaner haben sich besonders im Bundesstaat Bahia eine Enklave geschaffen – die Hauptstadt Salvador hat mit 75% den grössten Anteil schwarzer Einwohner in Brasilien – mit einer geradezu vibrierenden Ausstrahlung, die man überall spürt: im melodischen Dialekt und den fliessenden Bewegungen der Menschen – im afrikanischen Rhythmus ihrer “Candomblés” und “Capoeiras”.